Einwilligungserklärung
Sofia ist eine Software-Spezialistin, die gerne Informationen recherchiert und verstehen möchte, wie Dinge funktionieren. Als sie zehn Jahre alt war, baute sie ein Transistorradio aus einigen alte Radios und Lautsprecherboxen zusammen. Außerdem durchforstete sie das Lexikon nach Fehlern bei der Klassifizierung von Tieren.
Sofia ist misstrauisch gegenüber „kostenloser“ Software. In der Annahme, dass kostenpflichtige Dienste ihre Privatsphäre besser schützen, hat sie kürzlich eine App namens GreyWay abonniert (Slogan: „Stay fit all the way, from birth until you’re grey“), welche verspricht, persönliche Gesundheits- und Lifestyle-Daten sowohl für allgemeine als auch für individuelle Gesundheitsempfehlungen zu nutzen („Essen Sie mehr Avocado“, „Duschen sie morgens vor der Arbeit kalt“, „Steigern Sie Ihre Laufdistanz um nicht mehr als 10% pro Woche“). Es gibt auch eine „Premium-Option“, die personalisierte Gesundheitsberatung auf Basis einer Genom-Sequenzierung anbietet.
Spaßeshalber liest sich Sofia das Einwilligungsformular von GreyWay durch. Sie weiß, dass Gesundheits-Apps berüchtigt dafür sind, lange und unverständliche Erklärungen zu liefern, die fast niemand liest. Also will sie es versuchen. Natürlich benötigt GreyWay eine Menge persönlicher Daten, um maßgeschneiderte Ergebnisse zu liefern, aber sie möchte herausfinden, was mit den Daten passiert, nachdem sie gesammelt wurden. Werden sie für wissenschaftliche Untersuchungen verwendet? Wenn ja, werden sie anonymisiert? Werden sie an Facebook weitergegeben? Beim Überfliegen des Formulars stellt sie fest, dass GreyWay angibt, die Informationen nicht an Dritte weiterzugeben. Darüber freut sie sich. Sie liest aber auch, dass GreyWay diese Bedingungen jederzeit ändern kann, worüber sie sich wundert.
Dann sticht ihr der Haftungsausschluss ganz unten ins Auge: „GreyWay ist kein Medizinprodukt und sollte nur zu Unterhaltungszwecken verwendet werden. Wenn Sie unter gesundheitlichen Beschwerden leiden, konsultieren Sie einen Arzt, bevor Sie GreyWay benutzen.“
„Leide ich unter gesundheitlichen Beschwerden?“, fragt sie sich. Seit einem halben Jahr hat sie chronische Schmerzen im Handgelenk, und sie hat eine Glutenunverträglichkeit. Sollte sie nun einen Arzt aufsuchen und den Rat von GreyWay beherzigen?
Je mehr Sofia über das Problem nachdenkt, desto weniger Sinn ergibt es für sie. Gibt GreyWay ihr nicht auch medizinische Ratschläge? Also ist es nicht nur „zur Unterhaltung“ gut, oder? Und leidet nicht jeder unter irgendwelchen „gesundheitlichen Beschwerden“? Soll jedem Nutzer einfach klar sein, dass er einen Arzt konsultieren muss, bevor er GreyWay benutzt? Wer liest schon diese Erklärungen?
Diskussion: Einwilligung, Daten und der Unterschied zwischen medizinischen und Freizeitanwendungen
So wie Sofia gehen nicht viele an die Einwilligungsformulare heran: Die wenigsten Menschen machen sich tatsächlich die Mühe zu prüfen, auf welche Ansprüche sie mit dem Anklicken des Einwilligungskästchens verzichten oder zu was sie einwilligen.1
Aber selbst, wenn man herausfinden möchte, welche Auswirkungen die Nutzung einer bestimmten App in Bezug auf den Datenschutz oder mögliche Risiken hat, stellt man fest, dass digitale Einwilligungsformulare normalerweise keine gute Aufklärung in dieser Hinsicht leisten. Sofia ist klug und interessiert, und sie nimmt sich die Zeit herauszufinden, welche Richtlinien die GreyWay-App in Bezug auf den Datenschutz tatsächlich hat. Es gelingt ihr aber nur halbwegs, Antworten auf ihre Fragen zu finden. GreyWay ist hier – natürlich – ein fiktives Beispiel, aber solche Einverständniserklärungen sind durchaus normal. Viele Entwickler von Gesundheits-Apps (und andere digitale Angebote) verwenden aufwendige und komplexe Einwilligungsformulare, aus denen nicht klar hervorgeht, was die Gegenleistung ist.2
Solange kein Schaden entsteht, ist das vielleicht gar nicht so schlimm. Aber es ist nicht immer klar, ob tatsächlich kein Schaden angerichtet wird. GreyWay bietet Gesundheitsberatung an, und aus der Testfallbeschreibung geht hervor, dass die App sich auf einem schmalen Grat zwischen allgemeinen Gesundheitstipps und medizinischer Diagnose bewegt.
GreyWay möchte offensichtlich in der Wellness-Rubrik der Gesundheits-Apps bleiben, vermutlich weil für Gesundheits-Apps, die sich als medizinische Hilfsmittel vermarkten, andere rechtliche Rahmenbedingungen gelten. Dennoch suggeriert der personalisierte Charakter der GreyWay-Gesundheitsberatung den Nutzenden eindeutig, die Anwendung habe mehr zu bieten als nur allgemeingültige „gute Ratschläge“. Dies gilt vor allem dann, wenn man sich für die Genomsequenzierung entscheidet. Aber auch andere persönliche medizinische Informationen zur Anpassung von Gesundheitsempfehlungen können als „medizinisch“ eingestuft werden.
Diese „Grauzonen“ werfen Fragen in Bezug auf die adäquate Definition und Klassifikation von mHealth-Anwendungen und ihren Einwilligungserklärungen auf. Im medizinischen Bereich stellt die Einwilligung eine wichtige Säule guter ethischer Praxis dar. Viele Gesundheits-Apps übernehmen Aufgaben, die früher in die Domäne des traditionellen Gesundheitswesens fielen, wie zum Beispiel Diagnoseleistungen und Medikamentenpläne. Im Fall von Greyway können besonders datenschutzsensible Informationen als Ergebnis von Gentests entstehen, was typische Fragen aus der Ethik der Gentests aufwirft. Was passiert zum Beispiel, wenn die Sequenzierung „unliebsame“ Informationen liefert, zum Beispiel bezüglich einer genetischen Disposition für eine schwere, nicht behandelbare Krankheit? Gibt es eine Pflicht zur Offenlegung solcher Informationen? Bei wem liegt die Zuständigkeit für so etwas? Wie sollten Einwilligungsverfahren mit der Möglichkeit solcher „unliebsamer“ Informationen umgehen? Solche Fragestellungen sind im Kontext der klinischen Genetik komplex genug. Im Bereich der Gesundheits-Apps ist es um so fraglicher, ob sie überhaupt in ausreichendem Maß diskutiert werden.
Literatur
O’Connor, Y., Rowan, W., Lynch, L., & Heavin, C. (2017). Privacy by design: informed consent and internet of things for smart health. Procedia computer science, 113, 653-658.
Custers, B., van der Hof, S., & Schermer, B. (2014). Privacy expectations of social media users: The role of informed consent in privacy policies. Policy & Internet, 6(3), 268-295.
Source
Many companies offer different varieties of ‘personalized’ health accounts that seem to belong to the grey area between medical and wellness apps. The phrasing of the consent requirements echoes that of numerous apps that operate in this area. See this blogpost for examples. Numerous companies offer genome sequencing services or tests for specific alleles and some loseit.com even offer integrated services, comparable to Greyway.- https://www.divsi.de/publikationen/studien/divsi-umfrage-gehen-internet-nutzer-deutschland-mit-agb-und-datenschutzbedingungen-um/agb-lesertypen-nichtkaum-lesen-vs-genaudetailliert-lesen/
- https://www.nytimes.com/interactive/2019/06/12/opinion/facebook-google-privacy-policies.html?action=click&module=Opinion&pgtype=Homepage